„Um die kymatische Beobachtungsweise ausführlich zu dokumentieren, sei ein weiteres Beispiel ausführlich geschildert. Es soll eine Reihe von Effekten beschrieben werden, die auftreten, wenn Lykopodiumpulver der Schwingung ausgesetzt wird. Man kommt bei solchen Versuchen scheinbar ins Hundertste und Tausendste. Es scheint, dass man sich ins Uferlose verliert. Jedoch muss trotzdem so viel als möglich der Erscheinung abgerungen werden. Man will nicht aufhören, den Phänomenen abzulesen, was nur ablesbar ist. Immer wieder gilt: »Alle Gestalten sind ähnlich, doch keine gleichet der andern, und so deutet das Chor auf ein geheimes Gesetz, auf ein heiliges Rätsel.« (Goethe)

Natürlich lassen sich zahlreiche Vorgänge analysieren, messen, in Formeln darstellen. Natürlich sind Formeln, Kurven, Wahrscheinlichkeitsrelationen auch der Wirklichkeit abgenommen. Sie sind Abdrücke der Wirklichkeit und sind als solche auch real. Man kann mit ihnen auf diese Wirklichkeit einwirken, ja neue Wirklichkeiten (z.B. in der Technik) kreieren. Aber sie sind von der Wirklichkeit abgenommen; sie sind außerhalb des wirklich Existierenden; dies Letztere ist mehr, viel mehr als die Formel, als die quantitative Bestimmung darüber aussagt. Es werden immer nur gewisse Seiten des Phänomens erfasst. Wie aber soll denn das volle Phänomen, die wirkliche Wirklichkeit überhaupt erfasst werden? Rein naturphilosophische Ideenbildung, die in Gedankenbildern die Natur malt, ist auch nicht imstande, die voll elbendige Existenz festzuhalten. Sie ist »oberhalb« der wirklichen Wirklichkeit. Auch dieser spekulativen Betrachtungsart gegenüber behält das volle Leben sein Geheimnis. Es wird sich nur dann immer mehr und mehr zeigen, wenn man es nicht nur zergliedert, in Gerippe zerlegt, wenn man es nicht nur denkt, sondern wenn man sich von ihm gar nicht entfernt, sich weder über es erhebt noch es tötet. So sehr es auch scheinen mag, dass damit »nichts« erreicht wird, so sehr ist diese anhangende Beobachtung der Weg, der der Forschung die Quellen erschließt, den Atem erhält, das Leben gewährt. Es wird sich im Lauf dieser Schilderungen erweisen müssen, ob auf diese beobachtende und immer wieder beobachtende Weise, ob dieses Zusammenhalten des Beobachteten, dieses Ganzsein-Lassen des Phänomens zu Konturen von Grundphänomenen führt und etwas Essenzielles und Wesenhaftes erkennen lässt. Das Lykopodiumpulver wird gleichmäßig auf eine Membran aufgestreut: Bild 74  . Die Membran wird durch einen Ton erregt“.

 

Bild 74 Bild 75
Bild 76

 

„Wird nun die Amplitude weiter vergrößert, was für das Ohr ein Crescendo bedeutet, so werden die Bewegungen immer heftiger. Die Umwälzung geschieht schneller und in größerem Ausmaß. Nach und nach werden die Massen auf- und ausgeworfen. Es kommt zu eruptiven Auswürfen, zu Pulverfontänen, die hoch aufwirbeln (Bild 75). In einer dieser Pulverfontänen ist eine Spiralbewegung bemerkbar (Bild 76). Während also einerseits die Massen ausgeworfen werden, stürzen sie andererseits wieder in das System hinein. In eigenartiger Weise besteht so bei allem Umsetzen und Substanzwechseln eine gewisse Konstanz der Masse. Sowohl bei Änderungen der Frequenz als auch der Amplitude bewegen sich die Formen hin und her. Sie bewegen sich dabei ganzheitlich, das heißt, wenn sie nach einer Richtung gehen, an einer Stelle einen Fortsatz vortreiben, so fließt das Ganze nach, wird an einer andern Stelle eingezogen. Die Lokomotion geschieht im Sinn einer wirklichen Korrelation. Nicht Teile oder Stücke treten dabei auf, sondern eben ein einheitliches Strömen oder Fließen. Dieser Charakter ist natürlich einzig und allein durch das Schwingungsfeld bedingt. Beim Sistieren des Tons liegt das Pulver als Partikelanhäufung teilheitlich still. Auch das Trennen und Verbinden der Formationen geschieht in dieser einheitlichen Art. Ob sie sich gegenseitig aufschlucken oder sich auseinandersondern, nirgends tritt das Bild des Zerstückelns oder Zerfallens auf. Mit dem Stroboskop lässt sich vielfach beobachten, dass die Kongregationen pulsieren. 

Wird nun die Amplitude stark aufgedreht (fortissimo), so geht das Puder in eine Staubwolke über. Die Erscheinung geht ins Räumlich-Dreidimensionale. Mit dem Stroboskop lassen sich jedoch auch in diesen turbulierenden und wirbelnden Massen durch das Schwingungsfeld bedingte Anordnungen erkennen (Bild 77). Stellen stärkste Turbulenz, leere Zonen, Raumwirbel, »leere Räume« wechseln als vibrationsbedingte Ordnungen. Wird bei stärkster Amplitude, was dem Bild eines Wolkensturms entspricht, der Ton mit einem Ruck sistiert, so fällt das Pulver weitgehend gleichmäßig zerstreut auf die stillgelegte Membran nieder. Durch solche stärkste Amplitudenmodulation ist ein gleichsam integrierender Effekt möglich. Es lässt sich die Konstellation der Partikel, die so weitgehend formiert und individualisiert werden kann, mit einem Schlag integrieren. Die Situation ist in den Anfangszustand zurückgekehrt.

Bild 77 Bild 78 Bild 79

Wie markant übrigens die zirkulierenden Korpuskel sich an den Stellen der Bewegung befinden, lässt sich klar zeigen, wenn man etwa eine Stahlplatte mit Quarzsand und Lykopodiumpulver gleichmäßig bestreut. Wird die Vibration eingeschaltet, so gehen die Sandkörner in die Knotenlinien, die Lykopodiumsporen in die Wellenbäuche, in deren Mitte sie sich zu den Umwälzungen zusammenfügen. Bild 78: Stahlplatte, Frequenz 3600 Hertz, Quarzsand in den Knotenlinien, die zentralen weißen Punkte sind Lykopodium. Die zirkulierenden Rundhaufen sind nicht etwa allein beim Lykopodium zu finden. Schüttet man in eine schwingende Wasserschicht Quarzsand, so sieht man in den Wellenfeldern, also den Gegenden der Bewegung, in der Flüssigkeit Rundhaufen von zirkulierendem Quarzsand. Bild 79 erläutert diese Situation.

Natürlich können auch in dem Lykopodiumpulver die angeführten Vorgänge der Interferenz erzeugt werden. Die Formen pendeln dann zwischen zwei Lagern hin und her, oder es wechseln Phasen der Ruhe und der Bewegung miteinander ab.

Da ein Schwingungssystem in sich gewisse Heterogenitäten besitzt, ist es möglich, dass bei Erregung nur durch einen Ton Schwebungserscheinungen auftreten, die durch das indizierende Material angezeigt werden.

Auch Rotationseffekte finden sich hier. In dem Rundhaufen läuft dann die erregte Bewegung kreisförmig herum. Findet sich dieser Vorgang doppelsinnig, so resultiert ein Kippeffekt. Die Erscheinung präsentiert sich so: Kreisförmig läuft einen Pulverbewegung durch die Rundform, etwa in Form kleiner Eruptionen, dann erfolgt Stillstand, darauf dieselbe Bewegung, aber im Gegensinn; wieder Stillstand; dann wieder die erste Bewegung, aber im Gegensinn; wieder Stillstand; dann wieder die zweite Bewegung usw. Natürlich wurde dieser Kippeffekt gefilmt (wie überhaupt die ganze hier dargestellte Phänomenologie). Auch hier ist zu bemerken, dass er beim Impuls mit nur einer Frequenz erzeugt werden konnte. Ein System kann also, wenn es so geartet ist, dass es mehrfache Schwingbarkeiten enthält, durch »eine Frequenz« zu Interferenz, ja zu einem Kippeffekt gebracht werden (also ohne Frequenzmodulation in der generatorischen Erregung).

Bild 80 Bild 81 Bild 82

Die Versuchsreihen sind außerordentlich vielfältig. Unter bestimmten Bedingungen entstehen auch beim Lykopodium die bekannten Klangfiguren. Bild 80: Klangfigur auf einer Stahlplatte mit Lykopodium sichtbar gemacht, Frequenz 12 900 Hertz. Auch auf Membranen erzeugen sich Bilder, wo das Lykopodium in gewisse Zonen getrieben wird, während andere ganz frei von Partikeln sind, zum Beispiel in Bild 81. Man sieht die leeren Flächen einerseits und das zu Wolken zusammenstiebende Puder andererseits. Dass an einzelnen weniger schwingenden Partien die Rundformen figurieren, sei erwähnt. Nun lassen sich durch Frequenzmodulation kinetisch-dynamische Prozesse finden. Bei diesen ist die Situation nicht statisch wie in Bild 81; es rasen vielmehr Ströme, zum Teil in entgegengesetzter Richtung, um die leeren Flächen herum; Bilder 86-88 sind Aufnahmen dieser kinetisch dynamischen Erscheinung. Man hat sich die aufgenommenen Verläufe als Stromstürme oder Sturmströme vorzustellen, aber eben nicht als wildes Chaos, sondern als in der Ordnung rasende Dynamik. Bild 88 gibt ein Detail einer solchen dahinstürmenden Korpuskelmasse. Es ist deutlich zu sehen, dass sie in laminärer Weise dahinschießt.

Fassen wir einige der geschilderten Effekte zusammen, die sich aus der Beobachtung an dem unter Schwingungseinfluss stehenden Lykopodiumpulver ergeben.

Als solche Schwingungseffekte treten auf:

  • Formbildung
  • Formationen
  • Figurenbildung
  • Strukturelle Areale
  • Zirkulation
  • Konstanz des Systemmaterials
  • Pulsation
  • Rotation
  • Interferenz
  • Kippeffekt
  • Korrelation
  • Integrationseffekt
  • Individuation:
  • Ganzheitliche Verbindung und Sonderung
  • Dynamik der Eruption
  • Dynamik der Strömung usw.

 

Diese Aufstellung zeigt, dass wir Vielwirkung durch Schwingung finden. Die Schwingung ist polyerg und in manchen Effekten spezifisch. Die einzelnen Kategorien sollen nun nicht gepresst und zerlegt werden, sondern es soll – gemäß der eingeschlagenen empirischen Methode – das Ganze in seinen Erscheinungen belassen werden, wobei das eine Mal die eine Kategorie, das andere Mal die andere überwiegt. Aber eben durch das erzeugende und erhaltende Schwingungsfeld entsteht dieses Ganze. An jeder Stelle ist aber dieses Ganze. Es besteht keine Teilartigkeit, kein Stückwerk, sondern im Gegenteil das Einzelne, indem es der generatorischen Einwirkung ganz teilhaftig wird, hat den Schein eines Individuums, einer individualisierten Quasieexistenz, hat den Schein von Individualität“. 

(Hans Jenny, Kymatik, Wellenphänomene und ihre Schwingungen, AT-Verlag, 2009, S. 66-70)

 

 

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